Mittwoch, 20. Januar 2010

Die Glocke einladen



Bevor wir heute beginnen, muss ich euch etwas Cooles zeigen. Das ist das Cover der deutschen Ausgabe von Hardcore Zen, die im März 2010 im Aurum Verlag erscheint. Fett, oder? Ich freue mich darauf, dieses Jahr ein paar Live-Gigs in Deutschland zu veranstalten, um das Ding zu promoten. Hab die deutsche Version des alten Kraftwerk-Albums gehört (netterweise von Christine zur Verfügung gestellt - Danke!), um mir ein paar Brocken Deutsch anzueignen bevor ich gehe.

OK. Jetzt zur heutigen Tirade.

Neulich waren wir gerade dabei mit Zazen zu beginnen und ich sagte in etwa, "OK, lasst uns die Glocke schlagen und anfangen." Und dann meinte jemand, dass die Leute in einer anderen Zen Gruppe, mit der sie saß, nicht "schlag" die Glocke sagen würden, weil dieses Wort zu gewalttätig sei. Stattdessen "lädt man die Glocke ein zu klingen".

Ich antwortete "Und was, wenn die Glocke es mag, geschlagen zu werden?" Ich meine, vielleicht fährt die Glocke voll drauf ab, richtig hart geschlagen zu werden und bettelt dich förmlich an. In diesem Fall scheint es unfreundlich zu sein, der Glocke zu verweigern, was sie sich so sehr wünscht.

Nicht jeder erwartet die gleichen Dinge vom Leben wie du. Die, die etwas anderes als du oder als die Mehrheit der Menschen wollen, sind nicht notwendigerweise krank und haben unrecht, und sind nicht auf dich angewiesen, um sie in etwas zu verwandeln, das mehr dem ähnelt, was du "normal" nennst.

Das, denke ich, sollte offensichtlich sein, besonders für Westler, die sich für sogenannte "fernöstliche spirituelle Praktiken" interessieren. Wir sind selbst schon Mitglieder einer Minderheit. Daher sollten wir die Schwierigkeiten verstehen, die darin stecken an etwas interessiert zu sein, das den meisten Menschen, denen wir begegnen, nicht verständlich ist.

Und doch begegnet man in buddhistischen Zentren oft dieser Art von tiefen Vorurteilen und dem tief sitzenden Zwang, Menschen, die wir treffen, in etwas zu verwandeln, das uns ähnlich ist, statt ihnen zu erlauben genau so zu sein, wie sie wirklich sind. Tatsächlich ist diese Tendenz oftmals stärker in Menschen vorhanden, die auf irgendwelche Nischendinge stehen, wie z.B. Zen, als es in der Mainstream-Bevölkerung der Fall ist.

In Leuten, die auf Zen und solche Sachen stehen, liegt dieser Zwang oft unter unzähligen Schichten unerkannter Selbstgerechtigkeit begraben. Natürlich kannst du, wenn du auf Zen stehst, unmöglich an etwas interessiert sein, das der Rest von uns, die auf Zen abfahren, als merkwürdig oder (tiefer Atemzug!) irre ansehen würden.

Vieles von dem, was ich so an Vorgängen in der Welt des amerikanischen Zen beobachte, kommt von einem Ort tief liegender Selbstgerechtigkeit. Es ist dasselbe erstickende Gruppendenken, das sagt "Komm zu uns, sei eins mit uns, tu was wir dir sagen, sei so wie wir dich haben wollen, wenn du dich an unsere Ideale anpasst, wirst du mit einem Gefühl der Zugehörigkeit belohnt werden. Aber weiche niemals ab von dem, was wir als richtig ansehen, oder dieses Gefühl wird dir wieder genommen werden."

Aber hier ist der springende Punkt. Wenn du an etwas teilnimmst, sagen wir mal bei einem Sesshin, bei dem eine Gruppe zusammen Zazen praktiziert und für mehrere Tage auf engem Raum lebt, dann muss es ziemlich strenge Verhaltensregeln geben. Das nennt man atarimae (当たり前), um einen japanischen Ausdruck zu gebrauchen. Es ist etwas so Offensichtliches, dass es dumm erscheint, das überhaupt noch zu erwähnen.

Wie auch immer, daraus folgt nicht, dass Menschen, die an solchen Veranstaltungen teilnehmen, versuchen müssten, sich in die Art von Ideal-Person zu verwandeln, um der Vorstellung zu entsprechen, die der kleinste gemeinsame Nenner der Gruppe ist.

Für mich ist eine Glocke ein Ding, das es genießt, geschlagen zu werden. Wenn eine Glocke geschlagen wird, ist sie fähig sich selbst als Glocke zu zeigen. Wenn du sie nicht schlägst, kann die Glocke nicht tun, was sie tun muss.

Wenn du versuchst, die Tatsache zu vertuschen, dass du die Glocke schlägst, indem du diese Tat hinter einem hochtrabenden Euphemismus verbirgst, bist du nicht ehrlich mit dir selbst oder mit der Glocke.

Du hast eine Verantwortung deinen Part zu spielen. Manchmal begegnest du einer Glocke, die geschlagen werden muss, um sich als Glocke zu manifestieren. Wenn du zu sehr in ein sorgfältig kultiviertes Bild von dir selbst verwickelt bist als jemand, der niemals etwas schlagen würde, nicht mal eine Glocke, dann wirst du letztlich mehr Schaden anrichten, indem du nicht das tust, was nötig ist.

Die heutige Pop-Kultur hat das Image vom idealen Buddhisten kreiert als eine zaghafte Person, die sich so sehr davor fürchtet Schaden zu verursachen, dass er nicht handeln kann, wenn es darauf ankommt. Schau dir dieses feine Beispiel an:


Es ist lustig, das versprech ich dir. Und ich fühle mich überhaupt nicht angegriffen durch diesen Werbespot. Das Problem ist, dass man einem Haufen Leute begegnet, die sich selbst als echte Buddhisten betrachten und den Buddhismus fast auf die gleiche Art sehen, wie die Leute, die diesen Werbespot gedreht haben. Leute, die versuchen ihr Leben nach dem Vorbild verschiedener Karikaturen von Buddhisten auszurichten, die sie in der Fernsehwerbung oder schlechten Hollywoodfilmen gesehen haben.

Dann passiert das gleiche wie mit jeder Religion. Um seine Überzeugung zu stärken, wirklich zu sein, was auch immer man gerne sein will, braucht man andere Leute, die auch versuchen, das zu sein. Und so übt die Gruppe Druck auf alle ihre Mitglieder aus, sich anzupassen. Die Unangepassten werden geächtet. Und alle die zurückbleiben fühlen sich gut, denn sie sind nur von gleichgesinnten Leuten umgeben.

Aber die wirkliche Welt besteht nicht aus Leuten, die genauso denken wie du. Oder die, um ehrlicher zu sein, vorgeben so zu denken, wie sie sich vorstellen, wie du denkst, um so deine Anerkennung und die der restlichen Gruppe zu gewinnen. Wenn es das ist, was wir in unseren Sanghas kultivieren, dann tun wir absolut niemandem irgendetwas Gutes.

Noch tückischer als der Zwang andere so zu verwandeln, wie sie unserer Meinung nach sein sollten, ist der Zwang uns selbst in unsere eigenen Ideale zu verwandeln. Aber diese Ideale basieren immer auf derselben Gier, Wut und Täuschung, die wir versuchen durch unsere Praxis loszuwerden. Deswegen zielt Zen auf absolut nichts, außer darauf, dem, was gerade präsent ist, zu erlauben sich klar zu manifestieren. Paradoxerweise können wir, wenn wir das tun, wirklich sehen, was in unserem Leben geändert werden muss und sehen klar, was hier und jetzt getan werden muss, damit das passiert.

Kodo Sawaki erzählte eine Geschichte, in der er das Werden zu einem Buddha mit dem Werden zu einem Dieb vergleicht. Um ein Dieb zu werden, musst du nicht Jahr für Jahr üben, um zum idealen Dieb zu werden. Du läufst einfach in einen Plattenladen wie Amoeba Records, schiebst dir die neue Metallica CD in deine Tasche und läufst raus. Du wirst wahrscheinlich von den großen kräftigen Kerlen an der Tür geschnappt werden. Oder vielleicht kommst du durch. In beiden Fällen wirst du augenblicklich zum Dieb.

Dasselbe gilt für die buddhistische Praxis. Du wirst ein Buddha, indem du Zazen sitzt. In dem Moment, in dem du diese Position einnimmst, bist du ein Buddha. Kein Grund dich oder die Leute um dich herum dazu zu zwingen, sich in irgendwelche, wie auch immer geartete konfuse Ideale, wie Buddhisten sein sollten, zu verwandeln.

Dieser Zwang andere und uns selbst entsprechend unseren Idealen zu verändern ist ein bedeutendes Problem, und eins von dem ich nicht glaube, dass es genug beachtet wird. Es ist die äußere Manifestation eines tiefen Missverständnisses des Buddhismus, welches eigentlich eine Menge von dem antreibt, was heute unter Buddhismus verstanden wird.

Wenn du sagen willst du akzeptierst alles, dann, verdammt, akzeptier jedes verdammte Ding. Nicht nur die Dinge, die du akzeptabel findest.


Das heißt nicht, dass es nicht viele Dinge gibt, die wirklich verändert werden müssen. Aber die Dinge, die wirklich und ernsthaft verändert werden müssen, sind ziemlich offensichtlich.

Dem Buddhismus geht es nicht um Rückzug aus der Realität hin zu einer im eigenen Kopf fabrizierten freundlichen, sanften Welt. Es geht darum diese Welt zu einem besseren Ort zu machen, indem wir sie so sehen, wie sie ist und das tun, was wirklich getan werden muss.