Samstag, 17. Februar 2007

Depression - Weg zum Überleben?

Am Montag den 12. Februar veröffentliche die LA-Times einen interessanten Artikel, mit der Überschrift: „Die Entwicklung des Verstandes“. Der Untertitel lautete, „Depression als Weg zu überleben?“ Wie ich in einem früheren Artikel erwähnte, habe ich selber fast mein ganzes Leben lang mit Depression zu tun gehabt, und bin am Ende zu ein paar Schlussfolgerungen darüber gekommen, die ziemlich ungewöhnlich erscheinen. Deswegen wollte ich unbedingt lesen, was die Leute von der LA-Times zu diesem Thema zu sagen hatten. Anscheinend gibt es einen neuen Trend in der Psychologie, der annimmt, dass Depression eine evolutionäre Anpassung sein könnte, also etwas, das unsere Urahnen entwickelt haben, um zu überleben. Das ist ganz schön revolutionär, da Depression bis heute ja hauptsächlich als eine Krankheit betrachtet wurde, die geheilt werden muss.

Gemäß dem Artikel sagt Dr. Matthew C. Keller vom Institut für psychiatrische Genetik und Verhaltensgenetik Virginia in der August Ausgabe des Journals der Persönlichkeits- und Sozialpsychologie, Depression könnte dazu dienen, einer Person zu signalisieren, „aufzuhören Energie zu verschwenden, und Kraft zu sparen, wenn sich eine Situation als nicht erfolgversprechend erwiesen hat.“ Diese Gelehrten mit ihren großen Worten! Kurz gesagt, hörten die Neandertaler und Australopithecinen einfach auf, Brontosaurier zu jagen, als sie diese nicht mehr fangen konnten, weil die sich ins Wasser zurückgezogen hatten, und nur noch mit den Köpfen heraus schauten, und konzentrierten sich stattdessen auf landbewohnende Stegosaurier, um ihr Überleben zu sichern. Diese Tendenz, depressiv zu werden, wenn Dinge falsch laufen, wurde dann bis an uns, ihre entfernten Nachkommen, weitervererbt. So ungefähr jedenfalls.

Als sich die Menschheit weiterentwickelte, und ihre eigene Umwelt drastisch veränderte, wurde das, was einst einen gesunden Zweck erfüllte und sie am Leben erhielt, zu einer Krankheit. Stephen S. Ilardi, ein Professor der Psychologie an der Univ. von Kansas, dessen Namen ich mag, weil er sich wie Ghoulardi anhört, der legendäre Horror Film Anbieter aus Cleveland, sagt: „Es gibt immer mehr Beweise dafür, dass wir niemals für diese sitzendende, sozial isolierte, von Schlafmangel und schlechter Ernährung geprägte, rasende Lebensweise gemacht wurden“.

Daniel Nettle, ein Psychologie Professor an der Univ. von Newcastle in England sagt: “Für unsere Vorfahren war es sehr nützlich ihren Impulsen spontan und voller Elan zu folgen.” Doch heute ist es so einfach jede x-beliebige Laune zu befriedigen, dass sich diese Art Nachgiebigkeit schnell in eine Krankheit verwandelt. Moderne Probleme wie Sucht sind das Resultat. Der Ur-Mensch hatte wenig Gelegenheit nach irgendetwas süchtig zu werden, weil es so schwierig war, eine angenehme Erfahrung immer wieder zu wiederholen. Was aber haben wir mit unseren hoch entwickelten Hirnen anderes gemacht, als herauszufinden, wie wir unsere verschiedenen Begierden befriedigen können? Übertrieben schlau zu sein, macht sich eben nicht immer bezahlt.

Vieles von dem macht Sinn, wenn ich mir meine eigenen vergangenen depressiven Phasen anschau, und wie ich heute damit umgehe. Ich durchwanderte lange Zeiten immer schlimmer werdender Depression, die schließlich kurz vor dem Punkt, an dem ich soweit war, mich in den entgegenkommenden Verkehr zu schmeißen, von selbst verschwand. Zu der Zeit schien es, als käme die Depression aus dem Nichts, würde sich dann immer weiter und weiter steigern, bis sie, aus Gründen, die ich nicht verstehen konnte, verschwand. Es war nicht so, dass ich mich, nachdem sie weg war, total großartig gefühlt hätte. Ich war einfach wieder normal, obwohl dieses Normalsein zu dieser Zeit sehr düster für mich war.

Obwohl ich damals glaubte, die Phasen tiefster Depression kämen ohne irgendeinen Grund, war es in Wirklichkeit so, dass ich einen sehr beschissenen Lebensstil führte. Ich war es gewöhnt tagelang wenig zu schlafen, zu viel zu trinken, Drogen zu nehmen, Billigfraß zu essen, nichts Körperliches zu tun und mich selbst kirre zu machen, indem ich versuchte, alles Mögliche auszuprobieren, was mir Werbung, Freunde und die Gesellschaft im Allgemeinen erzählten, was ich absolut ausprobieren müsste, damit mir ja nichts Entscheidendes entgehen würde. Es kostete eine Menge Arbeit, um schließlich zu erkennen, dass dies keine Art zu leben war. Der Grund, warum ich nicht erkannte, dass mein Lebensstil schlecht für mich war, lag darin, dass unsere Gesellschaft im Allgemeinen darin versagt zu erkennen, dass der Lebensstil den sie als „normal“ ansieht, alles andere als normal ist – außer vielleicht in dem Sinne, dass „normal“ auch „allgemein üblich“ bedeutet. Könnte es sein, dass der Hauptgrund dafür, dass die Menschen heutzutage denken, sie bräuchten so viele Drogen, der ist, dass wir unsere Körper dazu zwingen unseren falschen Vorstellungen, wie das Leben gelebt werden sollte, zu entsprechen?

Auch heute gerate ich noch in depressive Phasen. Aber ich bin mir viel bewusster, wo sie herkommen und was ich tun muss, wenn sie kommen. Das heißt nicht, dass ich immer eine einfach erklärbare Ursache bestimmen kann. Es läuft intuitiver ab. Wenn ich zu sehr absacke, wird es Zeit mein Leben wieder zu normalisieren. Mehr Zazen ist immer eine große Hilfe. Denn was immer der Auslöser für die Depression ist, die Hauptursache dafür, dass sie bis zu dem Punkt anwächst, an dem sie wirklich problematisch wird, ist, zu viel nachzudenken. Der einzige Weg das Problem zu lösen, ist nicht zu viel zu denken.

Der Grund dafür, dass so viele von uns sich selbst andauernd so depressiv machen, ist der, dass wir uns in Gedanken stetig vor uns selbst definieren. Einer der besten Wege sich selbst zu definieren, ist der, dein angeblich einzigartiges Selbst mit Sachen zu vergleichen, die dein Selbst nicht mag. Deshalb sind Depressionen, Traurigkeit und Frustration sehr wirkungsvolle Wege die Illusion eines Selbst aufrecht zu erhalten. Ich denke ich bin deprimiert, also bin ich. Wenn du wirklich daran interessiert bist diesen Kreislauf zu durchbrechen – und die meisten Leute sind es nicht – dann ist es notwendig, die Idee eines „Selbst“ fallen zu lassen. Dies zu tun ist sehr, sehr schwer, denn uns wurde beigebracht, dass es sehr wichtig ist, dieses „Selbst“ zu definieren und zu erhalten. Wir haben Angst, wenn wir uns nicht ständig selbst definieren, könnten wir völlig verschwinden. Eine interessante Sache, die du in der Zazen Praxis lernst, ist, dass wenn du damit aufhörst, dich vor dir selbst zu definieren, sich nichts Wichtiges wirklich ändert – außer das du dich sehr viel besser fühlst.

Eine andere wichtige Sache ist Disziplin. Es gibt die weitverbreitete falsche Vorstellung, der Buddhismus sei eine nachgiebige Philosophie der Beliebigkeit, à la „erlaubt ist, was gefällt“ oder „alles geht“. Tut mir Leid eure Seifenblase platzen zu lassen, aber der Buddhismus ist nicht, noch war er jemals, eine „Erlaubt-Ist-Was-Gefällt-Philosophie“. Denn schon damals zu Buddhas Tagen führte der einfache Zugang zu verschiedenen Formen von Luxus zu großen Problemen. Im 21 Jh. sind diese Probleme zu krisenhaften Dimensionen angewachsen. Traurigerweise neigen einige buddhistische Anführer trotz all dem dazu, das Wort Disziplin in beschwichtigenden Tönen zu äußern, aus Angst, sie könnten die Massen verscheuchen. Diszipliniert zu sein heißt nicht immer, aufzugeben, was du gerne machst, aber es bedeutet zu lernen, wie viel zu viel ist.

Einer der großen Wendepunkte bei meinen Kämpfen mit der Depression kam, als ich anfing, regelmäßig an Zen Sesshins teilzunehmen. Bei einem Sesshin wirst du gezwungen einen sehr disziplinierten Lebensstil zu führen – Aufstehen um 4 Uhr 30, gefolgt von einem festen Zeitplan an Zazen und Arbeitsperioden, und selbst die Essenspausen folgen einem reglementierten Muster. Dem gibst du dich voll hin, und für eine festgelegte Zeit unterwirfst du dich Regeln, die weder angenehm noch einfach sind. Jetzt sollte ich dazu sagen, dass die Sesshins, an denen ich teilnahm, und die, die ich selber leite, an einem gewissen Standard gemessen sehr anspruchslos sind. Ich bin mir nicht sicher, wie hart du dich selbst antreiben musst. Wenn du es ehrlich und ernst meinst, dann ist ein Bisschen genug.

Weit entfernt davon mich gefangen zu fühlen, fühlte ich mich bei diesen Sesshins freier denn je in meinem Leben. In meinem gewöhnlichen Leben vermisse ich diese Art der Disziplin in einem Umfang, dass ich mir sie sogar selbst auferlege, wenn ich das eigentlich gar nicht müsste. Ich arbeite von zuhause, ohne festgelegten Zeitplan. Es wäre leicht für mich, lange aufzubleiben und mir die Nacht um die Ohren zu schlagen, und irgendwann aus dem Bett zu rollen, nach dem die Sonne heiß geworden ist. Aber ich mach’s nicht. Auch wenn ich zu Hause keinen Zeitplan wie bei einem Sesshin einhalte, so folge ich doch so weit wie möglich einem festgelegten Muster.

Natürlich weiß jeder, wie militaristische Disziplin im Namen der Religion zu allen Arten von abscheulichen Aktivitäten von Sekten geführt hat, Massen Tötungen und seltsame Haarschnitte. Das ist der Grund, warum Du kein Vollidiot sein darfst: Es gibt einen Unterschied dazwischen einem disziplinierten Lebensstil zu folgen, und Verantwortung für deine eigenen Handlungen an Leute abzuschieben, die offensichtlich wahnsinnig sind. Lern den Unterschied zu erkennen.

Ich würde niemals behaupten, ich hätte Die Antwort für das Problem der Depression. Aber ich kann sagen, was mir geholfen hat, und was mir immer noch hilft. Es ist keine so einfache und schnelle Lösung wie jeden Tag ein paar Pillen zu schlucken. Aber auf lange Sicht ist es besser zu lernen, wie man mit sich selbst umgeht, anstatt die ganze Arbeit Medikamenten zu überlassen. Zumindest wirst du so nie vergessen, dein Rezept einzulösen. Dennoch, die Lösung, die mir geholfen hat, erfordert es, sich gegen das zu entscheiden, was die meisten Menschen als „normale“ Lebensweise und „normalen“ übermäßigen Luxus betrachten. Wenn du bereit bist, dieses Opfer zu bringen, wirst du sehen, dass es eigentlich gar kein Opfer ist.


Der Text wird an folgender Stelle weiterbehandelt:

ZU GUT

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