Samstag, 30. Dezember 2006

Bist du glücklich?

Frohes neues Jahr! Ich weiß, dafür ist es vielleicht ein paar Tage zu früh, also frohes Jahresende. Das Jahresende ist die Hochsaison für Depressionen. Und da ich darum gebeten wurde, über Depressionen zu schreiben, scheint genau jetzt die richtige Zeit dafür zu sein.

Den größten Teil meines Lebens war ich fast immer sehr depressiv. Als ich herausfand, was Selbstmord war, stellte ich mir vor, wie ich ihn am besten begehen könnte. Ich erinnere mich daran, düstere Gedanken gehabt zu haben, mir kurz vor der siebten Klasse das Leben zu nehmen. Mit Depressionen kenne ich mich also aus.

Ich hasse Leute, die dir erzählen, wie sie mithilfe einer Religion Depressionen, Alkoholismus, Ziellosigkeit, Haarausfall, Skorbut oder was auch immer heilten, und dann versuchen, dich für diese Religion zu gewinnen. Also, welchen Eindruck du auch immer von diesem Artikel bekommen magst, denke bitte nicht, dass ich das hier tue. Für mich ist es kein Problem, falls du dich nicht für Zazen interessierst. Ist halt dein Pech.

Egal. Als ich mein Abitur machte, war ich ein super-depressiver Typ. Und natürlich hatte ich allen Grund dazu. Ich war ein hässlicher und unbeholfener Versager ohne Zukunft. Und als sei dies noch nicht schlimm genug gewesen, beabsichtigte Ronald Reagan - das war jedem klar - uns noch vor dem Ende der 80’er in den totalen, globalen Atomkrieg zu führen, während ein Haufen verräterischer Ex-Hippys Koks sniffte und reich wurde. Das war kein Witz. Ich war mir dessen absolut sicher. Also dachte ich die Frage sei nur die, mich entweder jetzt umzubringen, oder meine Tage mit in ihren Höhlen zerschmolzenen Augäpfeln und meinen an der Wand hängenden Schatten zu beenden.

Ich war ein Pessimist ersten Ranges. Ich denke, das war eines der ersten Dinge, die mich am Buddhismus faszinierten. Es schien, wie das Äußerste an Pessimismus. Buddhas Botschaft beginnt mit „Alles Leben ist Leiden“. Was könnte ansprechender für einen Pessimisten sein? Bei den ersten Versuchen Westlern den Buddhismus zu erklären, wurde dieser oft als streng pessimistisch als auch völlig nihilistisch dargestellt. Es war allerdings ein großes Rätsel, warum die Anhänger einer solch deprimierenden Religion so glücklich sein konnten. Warum liefen sie ständig lächelnd umher, anstatt einfach irgendwo von einer Brücke zu springen? Tatsächlich ist der Buddhismus nicht im geringsten pessimistisch und hat nicht das Mindeste mit Nihilismus zu tun.

Die angeblich pessimistische Sicht des Buddhismus hängt mit seiner Bewertung der idealistischen Sichtweise zusammen. Durch die Brille der Gedanken und Vorstellungen gesehen, ist alles im Leben Leiden oder, um eine genauere Übersetzung des originalen, von Buddha benutzten, Pali Wortes zu geben – „Dukkha“ – alles Leben ist unzufrieden stellende Erfahrung. Dein tatsächliches Leben kann nie und nimmer mit deiner Vorstellung zusammenpassen, wie es sein sollte. Sogar deine glücklichsten Erfahrungen werden überschattet von dem Wissen, dass sie irgendwann vorbeigehen werden. Diese Anschauungsweise hört sich echt deprimierend an.

Aber es gibt einen recht einfachen Ausweg. Buddha betrachtete sein Leben und entdeckte etwas, das viele von uns während ihres ganzen Lebens nicht einmal bemerken. Wir leben nicht in unseren Gedanken und Vorstellungen. Wir leben in der Realität und die Realität ist vollständig außerhalb unserer Gedanken und Vorstellungen. Egal wie wir das Leben das wir leben beschreiben, diese Beschreibung ist nur ein Gedanke. Wie mies du dein Leben auch finden magst, dein Leben ist nicht der Gedanke, den du über dein Leben denkst. Es geht nicht darum schlimme, depressive Gedanken auszulöschen. Es geht darum zu verstehen, was deine Gedanken eigentlich sind.

Das hört sich einfach an, ist es aber nicht. Dies nur intellektuell zu verstehen, wird dir wenig helfen. Du musst es „durch Praxis lernen“, um es mit den Worten Dogens zu sagen.

Lass mich versuchen, ein Beispiel zu geben, wie das funktionieren kann. Nehmen wir mal an du verbringst deinen Weihnachtsurlaub mit der Familie. Wenn deine Familie so wie meine ist, dann gibt es keine Möglichkeit, jemals eine Beschäftigung zu finden, mit der alle einverstanden sind. Also endet man beim kleinsten gemeinsamen Nenner und wählt etwas, das zumindest nicht von allen völlig gehasst wird. Nun befindest du dich also in einem hässlichen, langweiligen Einkaufszentrum, wo sie diese billige blöde Weihnachtsmusik spielen, über die du dich schon die letzten zwei Monate aufregst. Alles in diesen abscheulichen Geschäften ist überteuert und furchtbar. Dein Neffe springt wie verrückt herum, deine Nichte schreit, Tante Erna watschelt umher, zeigt auf Dreiräder und sagt zum 57´ mal am Stück „du mochtest Dreiräder, stimmt´s?“ Überall um dich herum stehen Leute, die sich vergnügen, aber dir ist kotzübel. Dein Gehirn verwandelt sich in rosa Pudding. Überall wäre es jetzt besser als hier. Du beginnst dir all die Dinge vorzustellen, die du an diesem Tag machen könntest, wenn du nur nicht in dieser Situation stecken würdest. Deine Fantasie setzt zum Flug an. Zuhause mit einer Packung Taschentücher und den Suicide-Girls zu sein, wäre besser.

Das ist der Punkt, an dem du stoppen musst. Achte darauf, was wirklich passiert. Du bist nicht an einem der Orte, an denen du sein könntest, und tust nicht eine von den Sachen, die du tun könntest. Du bist hier. Dies ist dein Leben. Und du verpasst es. Deine Fantasien sind niemals die Wirklichkeit und sie werden sie auch nie sein, weil nichts von dem was du dir vorstellen kannst, jemals so sein wird, wie du es dir vorstellst.

Dasselbe gilt für all das, worüber du deprimiert sein kannst - die Weltlage, der Stand der aktuellen Musik, der Zustand deiner Haare.

Was mir immer hilft, ist all die kleinen Dinge zu tun, die mein Leben genau jetzt verbessern. Wie z.B. das Klo putzen oder den Müll ausleeren. Bring jemanden zum Lachen. Es gibt immer etwas, das getan werden muss. Immer. Und es ist deine Aufgabe es zu tun. Leiste einen Beitrag an die Welt, in der du lebst. Es ist nicht wichtig ob es was Großes oder was Kleines ist. In der Tat ist etwas Kleines besser. Wir leben unser Leben nicht für uns selbst. Dies ist ein großer Fehler, den fast jeder macht. Du bist ein Teil des Zusammenhangs des Lebens und du hast die Pflicht, deinen individuellen Beitrag zu leisten. Dafür hat dich Gott in die Welt gesetzt. Wenn du gegen dieses Prinzip handelst, fühlst du dich unglücklich.

Ist dein Leben im Gleichgewicht? Oder malst du es dir als ein paar Gipfelerlebnisse aus, große Höhen und große Tiefs, unterbrochen von langen Strecken, in denen nicht viel passiert? Auch Drogen werden dich Durcheinander bringen. So sehr ich es auch hasse wie Nancy Reagan zu klingen, es ist verdammt wahr. Sie ziehen dich für eine kleine Weile hoch, aber dann kommt immer der Rückschlag. Du magst denken es wäre in Ordnung, wenn du nur für den Rausch – egal welcher Art - lebst, unterbrochen von Zeiten in denen nichts passiert. Aber das ist es nicht. Der einfache Grund, warum das Heute so düster und grau erscheint, kommt bloß daher, weil du das Heute mit deiner Erinnerung an den Sonnenschein von gestern vergleichst, oder mit dem Hoch von gestern oder deinem Orgasmus von gestern. Oder das Große „wenn doch nur …“, das alles perfekt machen würde, wenn es nicht außer Reichweite wäre. Aber das sind bloß deine Erinnerungen und Vorstellungen. Die Wirklichkeit ist das Geschirr in der Spüle. Und das Geschirr in der Spüle heute, ist viel besser als die Achterbahnfahrt von letzter Nacht – denn das Heute ist wirklich und gestern und morgen sind Lügen, die du dir selbst erzählst.

Depression ist ein Gedanke. Es ist schwierig, ihn loszuwerden. Aber letztlich sind alle Gedanken, egal welche, nichts als Energie, die innerhalb des Fleisch Klumpens in deinem Schädel herumspringt.

Genieß deine Ferien, oder genieß es, sie nicht zu genießen. Es liegt ganz an dir.

(Link zum Originaltext)